DAS GOLDENE KALB DEUTSCHLANDS – DIE MUTTERSCHAFT
Das Bild der Mutter wird immer noch fast ausschließlich rosarot, kuschelweich und voller Schmetterlinge gezeichnet. Es gibt zu viele verklärte Mythen und zu wenige Stimmen, die mit diesen öffentlich brechen.
Ich habe sicherlich zwei Jahre gebraucht, um mich in der Rolle der Mutter einzufinden. Da waren tiefe Täler voller Tränen, widersprüchlichen Gefühlen, Verlorenheit, Hilf- und Machtlosigkeit. Dieses aufreibende Gefühl der Fremdbestimmung, irgendwie ein- und weggesperrt zu sein, der Eindruck das Leben nur noch von der Ersatzbank betrachten zu können. Themen wie Gleichberechtigung, finanzielle und rechtliche Absicherung sind so essentiell in der Mutterschaft, wie vielleicht niemals zuvor im Leben der Frau. Es entsteht großer Druck in der Beziehung, für beide als Mutter und Vater und als Mann und Frau. Dazu kommt noch das Rollendenken. Ich persönlich kam nicht klar mit der Rolle der Hausfrau und Mutter — mit meiner selbst gezeichneten Wahrnehmung einer Mutter. Dazu kommt auch noch das Thema der intellektuellen Unterforderung. Ich könnte wahrscheinlich noch unzählige weitere Dinge aufzählen, die in unserer Gesellschaft nicht besprochen werden.
Ich bin als die jüngste Tochter einer vierfachen, alleinerziehenden Mutter aufgewachsen und habe zwei Jahrzehnte sehen können, was es bedeutet sich zu 150 Prozent für die Familie aufzuopfern. Daher könnte man meinen, dass ich es hätte besser wissen müssen. Dass ich hätte ahnen können, was mich erwartet.
Mir wurde zum Verhängnis, dass ich zwar aus Kinderaugen gesehen habe, was es für eine enorme physische Leistung ist, Mutter zu sein, mir aber natürlich nicht bewusst war, welcher zusätzliche psychische Druck entsteht. Das sind Themen, die nach wie vor tabuisiert sind. Darüber wurde damals nicht und wird auch 35 Jahre später nicht öffentlich gesprochen.
Mutterschaft ist sozusagen das Goldene Kalb Deutschlands. Wir betrachten das schicke Äußere, idealisieren und bewundern es, aber wirklich berühren und uns ehrlich damit auseinandersetzen, tun wir nicht.
Nun bin ich selber Mutter, zwar mit dem Glück einer erfüllten, gleichberechtigten Beziehung, aber nach wie vor in einer Welt, in der nicht alle Facetten des Mutterseins den Raum haben, um existieren zu dürfen. Nur hinter vorgehaltener Hand und nur unter engen Vertrauten, wird von diesem inneren Druck gesprochen.
All die Gefühle, von denen ich anfänglich sprach, treffen wie alles im Leben nicht auf alle zu. Aber auf viele – zu viele, um nicht offen darüber reden zu dürfen.
Also habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, ganz offen über das Thema Schwanger- und Mutterschaft zu sprechen. Die Gesellschaft hat eine Verpflichtung hier nicht beschönigend vorzugehen.
Es hat nichts mit meinen Gefühlen für meine Tochter zu tun, wenn ich sage, dass ich die Sekunden zähle, bevor ich sie ins Bett bringen kann. Niemand sollte sich dafür schämen, die subjektive Wahrheit auszusprechen. Ich sollte nicht das Gefühl haben, nun sagen zu müssen, dass ich Karlie bis zum Mond und zurück liebe und mir das Herz rausreißen würde, wenn es sie zum Lachen bringt.
Über welche Mutter-Mythen spreche ich denn eigentlich – hier eine kleine Auswahl:
▹ „Wenn du dein Baby das erste Mal in den Armen hältst, gerät alles andere in Vergessenheit und wird zweitrangig.“
▹ „Stillen ist ganz easy, sozusagen das natürlichste der Welt. Das kommt dann ganz von alleine.“
▹ „Klar, wird es mal ein bisschen anstrengend sein, aber wenn dein Kind dann einmal lächelt, dann vergisst du alle Sorgen und Schlafdefizite.“
Und hier noch ein paar weitere Märchen:
▹ Dank Hollywood denken fast alle Nichtmütter, dass man ein Baby schreiend, schwitzend und fluchend auf dem Rücken liegend gebärt.
▹ Allgemeingültig scheint auch zu sein, dass Frauen ihre Karriereambitionen mit dem ersten Schrei des Neugeborenen verlieren.
Zu den ganzen Mythen und Märchen gesellen sind dann auch noch Druckmacher. Interne wie externe:
▹ Thema Rabenmutter: Der Mann geht arbeiten, die Frau bleibt (zumindest vorerst) zuhause. Wenn sie jedoch zu früh wieder zur Arbeit geht, ist sie eine Rabenmutter. Wenn sie vielleicht noch ein Jahr länger zu Hause bleiben möchte, ist sie eine Glucke ohne Drive.
▹ Vielen selbstbestimmten Frauen fehlt die Anerkennung, die sie in ihrem Job häufig über Jahre gewohnt waren. Denn so ein kleiner Wurm klopft dir nicht alle naslang mal auf die Schulter oder betont im Team Meeting dein erwähnenswertes Geschick, halb schlafend Windeln zu wechseln.
▹ Die Kinderwunschfrage taucht bei Frauen und auch Männern inzwischen viel später auf, wodurch größerer Druck entsteht, da der erste große berufliche Erfolg und die berühmte, tickende biologische (oder gerne auch ideologische) Uhr nun kollidieren.
▹ Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, werden immer noch skeptisch betrachtet, da die Gesellschaft Frausein immer noch unmittelbar mit Muttersein verknüpft. Ist da eine Frau, die sich dagegen entscheidet, sieht sie sich moralischer Entrüstung, Enttäuschung und Zweifel gegenüber. Sie muss sich rechtfertigen und fühlt sich häufig dadurch schon ihrer selbstwirksamen Autorität beraubt. By the way: Einem Mann wird bei selbiger Antwort gerne auf die Schulter geklopft und fast noch ein „Puh, gerade nochmal von Messers Schneide gesprungen.“ zugeflüstert. Das ist aber nochmal ein ganz anderes Thema.
Daten, Daten, Daten:
Es gibt tatsächlich diverse Studien, die bestätigen, dass ca. ein Fünftel bis ein Drittel der Frauen, die schwanger werden, nicht sicher sind, ob sie tatsächlich ein Kind wollen (Ergebnis einer Analyse von 33 Studien zu Familienplanungs-Absichten). Interessant und hier nicht unerwähnt bleiben sollte eine Studie von 2016 im „American Journal of Sociology“, die Familien in 22 Ländern untersuchte und feststellte, dass Kinder zu haben, Menschen erheblich weniger glücklich werden ließ, als keine zu haben – ein Phänomen, das Forscher die „Parenting Happiness Gap“ nennen. #regrettingmotherhood hat 2015 für Furore gesorgt, aber dennoch keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Versteh mich nicht falsch, ich sage auch, dass es wunderbare Momente in der Mutterschaft gibt, Momente voller Liebe und Innigkeit. Was ich zur Debatte beitragen möchte ist, dass zu wenig darüber gesprochen wird, was auch noch Teil des Mutterseins ist. Besagte Fremdbestimmung, das Gefühl den eigenen Körper nicht mehr für sich zu haben und sich manchmal schütteln zu wollen, um zu sehen, wo man selber aufhört und das kleine Wesen an einem anfängt. Die Ratlosigkeit, die heimlichen Tränen der Erschöpfung. Das Gefühl niemandem mehr gerecht zu werden, erst recht nicht sich selber. So platt zu sein, dass man keine Kraft mehr für ein einziges Wort zu haben scheint. Dem Druck der (gelernten oder auch konditionierten) Rolle der Mutter gerecht zu werden und nebenher noch Partnerin, Liebhaberin, Vamp, Karrierefrau, Tochter, Schwester und Freundin zu sein. Perfekt auszusehen, das Kind zwar immer dabei zu haben, weil man eben lässig und unkompliziert ist, es aber nicht stören zu lassen, wenn man sich gerade gut unterhält. So und so lange zu Stillen, dann alles selbst und frisch vom Bio Markt zu kochen. Kein Zucker, keine Screen-time vorm zweiten Lebensjahr und am besten schon mit 18 Monaten die frühkindliche Musikerziehung beginnen. Jeder hat eine Meinung zu deinem Erziehungsansatz, darf sich ungefragt dazu äußern und bei Nichtbeachtung pikiert die Augenbrauen hochziehen.
Schluss damit – lasst uns offen sprechen.
Muttersein und ‑werden ist die größte Herausforderung, der sich eine Frau stellen kann.
Muttersein keine Identität, sondern ein Aspekt der Persönlichkeit. Es ist eine unglaubliche Leistung.
Lasst uns anfangen in diesem Kontext darüber zu reden. Voller Stolz, Kraft und Ehrlichkeit. Ohne schlechtes Gewissen, ohne Scham und mit der Stärke, die jeder Frau innewohnt.
Was sind deine Erfahrung?
Wie fühlst du dich mit der Frage, ob du ein Kind haben möchtest, ja oder nein?
Wie geht es dir in der Schwangerschaft und als (junge) Mutter / Vater?
Hinterlasse mir gerne einen Kommentar, schreibe mir eine E‑mail oder teile deine Gedanken über das Kontaktformular.
Lass uns beginnen gemeinsam zu wachsen.
Vielen Dank für deine Offenheit,
Alexa
Ein kleiner Disclaimer:
Es ist vielleicht wichtig zu erwähnen, dass es natürlich auch Familienkonstellationen gibt, die moderner sind, als die, die ich hier anspreche. Ich kann tatsächlich nur über das traditionelle Elternkonstrukt sprechen. Alles andere wäre anmaßend, denn ich habe nur diese Erfahrungen gesammelt. Wenn du dich darüber mit mir austauschen und mir mehr über deine Erfahrungen erzählen möchtest, melde dich gerne bei mir – ich liebe es zu lernen.
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